Miriam Hollstein und Claudia Kade: „Rot-rot-grüner Geheimbund der Jungpolitiker“
Während die Spitzen von SPD, Grünen und Linke keine Zusammenarbeit aller drei Parteien wollen, sprechen einige linke Jungpolitiker genau darüber. Für sie ist so ein Bündnis nur eine Frage der Zeit. Von Miriam Hollstein und Claudia Kade / erschienen am 03.09.2013
Hoffnung auf 2017 Rot-rot-grüner Geheimbund der Jungpolitiker
Während die Spitzen von SPD, Grünen und Linke keine Zusammenarbeit aller drei Parteien wollen, sprechen einige linke Jungpolitiker genau darüber. Für sie ist so ein Bündnis nur eine Frage der Zeit. Von Miriam Hollstein und Claudia Kade
Die Pause ist lang diesmal, sie dauert schon fast das ganze Jahr, das Wahljahr. Weil der Wahlkampf der Führungsspitzen nicht gestört werden solle, sagen manche. Weil SPD (Link: http://www.welt.de/themen/spd) , Grüne (Link: http://www.welt.de/themen/buendnis-90-die-gruenen/) und Linkspartei (Link: http://www.welt.de/themen/die-linke/) sowieso noch nicht reif seien für das Projekt, sagen andere. Das Projekt, um das es geht, heißt Rot-Rot-Grün, und diejenigen, die hinter verschlossenen Türen seit einigen Jahren darauf hinarbeiten, die haben seit Januar eine Pause eingelegt.
Aber als stille Reserve stehen sie bereit – dann, wenn die Zeit für Rot-Rot-Grün gekommen ist. „R2G“ nennt sich die Gruppe junger Politiker aus allen drei Parteien, das ist die Formel für zweimal rot und einmal grün. Die Runde will den Weg ebnen für eine Regierungszusammenarbeit der linken Parteien, sie wollen die gegenseitige Blockade auflösen – und damit die Rückkehr zu echter Polarisierung zwischen den politischen Lagern erreichen. Sie wollen Politik wieder spannend machen, sagen sie. Und endlich eine realistische Machtperspektive schaffen für alle drei Parteien, das ist die eigentliche Motivation.
Eigentlich hatten einige Mitglieder die Hoffnung, es könne in diesem Herbst bereits so weit sein. „Aber spätestens im vorigen Jahr war klar, dass es nicht gelungen ist, die relevanten Personen bei SPD und Grünen für ein Bündnis mit der Linkspartei zu öffnen“, sagt ein R2Gler. Doch der harte Kern der Gruppe aus etwa 15 Politikerinnen und Politikern hat keinen Zweifel daran, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Gräben zwischen den drei Parteien überwunden werden können.
“ Zu jung, um nur zuzugucken“
Das Herz der Gruppe ist Angela Marquardt, Ex-Vizechefin der PDS, heute Sozialdemokratin und Mitarbeiterin im Büro von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Marquardt weiß aus eigener Erfahrung, dass Politik eine Geschichte von Brüchen, Neuanfängen und dem richtigen Zeitpunkt ist. In der PDS hat die 41-Jährige mit der Igelfrisur erst steil Karriere gemacht, dann trat sie allerdings enttäuscht aus. Bei der SPD hatte man nicht auf sie gewartet. Aber sie hat sich einen Ruf erarbeitet, gilt als gut vernetzt und kluge Analytikerin. Seit 2007 ist sie Geschäftsführerin der linken Denkfabrik; in dieser Funktion organisierte sie ein Jahr später das erste rot-rote Zusammentreffen, die so genannte Walden-Connection, benannt nach einem Lokal in Berlin-Prenzlauer Berg, in dem man sich anfangs traf.
Von der SPD waren neben Marquardt Niels Annen und Frank Schwabe dabei, von der Linken Jan Korte, Halina Wawzyniak und Stefan Liebich. Die jeweiligen Parteiführungen, vor allem die Spitze der SPD, beobachteten die Treffen mit Misstrauen. Als „Kindergarten“ und „Krabbelgruppe“ wurde die Truppe abgetan; das gescheiterte Experiment der hessischen SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti steckte den SPD-Oberen noch in den Knochen. Als ein Jahr später auch ein paar Grüne wie der Verkehrsexperte Anton Hofreiter dazu kamen, waren diese Diskussionen schon ausgestanden.
Rund ein Dutzend Mal hat sich die Gruppe seither getroffen, zuletzt bei einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe zur Sozial- und Europapolitik im Herbst und im Januar noch einmal beim Neujahrsfest der Denkfabrik. Das Experimentelle des Anfangs ist verschwunden: „Die Gespräche sind ernster geworden“, sagt Marquardt. In Diskussionen wird ausgelotet, wie vereinbar die Positionen etwa beim Thema Bürgerversicherung sind. Ernsthaft geworden sind auch die Chancen. Dass Rot-Rot-Grün im Herbst eine Option sein könnte, glaubt in der Runde zwar niemand mehr. Aber für 2017 sieht es anders aus. Marquardt formuliert es so: „Wir können uns vorstellen, gemeinsam Politik zu machen.“ Und: „Wir sind zu jung, um nur zuzugucken.“
Enttäuschung im vorigen Jahr
Tatsächlich hatten sie sich alles clever zurecht gelegt, ihr Kalkül war mittelfristig angelegt: Nach den ursprünglichen R2G-Planspielen hätten die Spitzen von SPD und Grünen sich einige Monate nach der Bundestagswahl 2009 bereits offen zeigen sollen für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Dann wäre innerhalb der Linken eine neue Dynamik entstanden. Mit der neuen Machtperspektive vor Augen wären linksradikale Kräfte, die kein Interesse an einer Regierungsbeteiligung, sondern vor allem an einem langfristigen Systemumsturz haben, aus der Linkspartei herausgedrängt worden. Damit wären Extrempositionen verschwunden wie die Abschaffung des Kapitalismus oder den deutschen Austritt aus der Nato, so der Plan der R2G-Strategen. „Da es aber leider von den Führungsspitzen keine Offenheit gab, hatten die vernünftigen Kräfte in der Linkspartei auch keinen Grund sich durchzukämpfen“, sagt ein Grüner aus der Runde. „Aber es gibt genug, die es satt haben, in der Opposition zu versauern.“
Doch auch wenn die Mitglieder in den vergangenen Jahren viele Gemeinsamkeiten entdeckt haben – R2G musste bisher vor allem Rückschläge hinnehmen: Als die Verbündeten sich vor drei Jahren an einem Juliabend zu einem Fest trafen und eigentlich ein Aufbruchsignal geben wollten, war die Stimmung ziemlich gedrückt. Denn genau an jenem Abend scheiterte, nur wenige Kilometer entfernt, im Bundestag, der spektakuläre Versuch einer anderen rot-rot-grünen Zusammenarbeit. SPD und Grüne hatten gehofft, mit den Stimmen der Linken ihren Kandidaten Joachim Gauck als Bundespräsidenten durchsetzen zu können und damit der schwarz-gelben Koalition eine Schlappe zu verpassen. Doch die Linke machte dann doch nicht mit.
Und im vorigen Jahr, als die R2Gler bei ihren Parteispitzen die Chancen ausloteten für die Zeit nach dem 22. September, wurden sie ebenfalls enttäuscht. „Wir haben vorgefühlt: Was habt ihr vor, wie können wir wieder an die Regierung kommen“, erzählt ein grünes R2G-Mitglied. „Die Antwort war: Mit der SPD. Und auf unsere Frage nach einem Plan B kam wieder nur: Rot-Grün.“ Danach sei klar gewesen, die nächste Zielmarke ist 2017.
Auch Schwarz-Grün hat in diesem Jahr kaum Chancen
Wie lang die Durststrecke sein kann, haben die Kollegen von Union und Grünen erlebt. Einige junge Bundestagsabgeordnete von CDU und Grünen hatten sich schon Mitte der 90er-Jahre in einem Bonner Italiener regelmäßig getroffen, um langfristig ein schwarz-grünes Bündnis vorzubereiten. Und obwohl die damals jungen Mitglieder der Connection seit Jahren zu den engsten Vertrauten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zählen und an zentralen Machthebeln sitzen, hat Schwarz-Grün auch bei dieser Wahl wieder kaum Chancen.
Jung – das ist auch das Stichwort für die neue Generation R2G. Sie sind erfahren genug, um mittelfristig in den Parteien etwas bewegen zu können. Erst recht dann, wenn sich die Fraktionen nach der Bundestagswahl verjüngen und der Nachwuchs noch wichtiger für die Parteien wird. Aber zugleich sind sie bei R2G jung genug, um alte Fronten hinter sich zu lassen. Die meisten von ihnen waren noch Kinder, als die Mauer fiel.